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ZUR
MENSCHENGEMACHTEN HUNGERSNOT UND ZUM ANGRIFF AUF GAZA-STADT
Erklärung
von Caritas Internationalis
Am 20. August 2025 stürmten israelische Streitkräfte
Gaza-Stadt, wo fast eine Million vertriebene Zivilisten Zuflucht gesucht
hatten, viele von ihnen bereits am Verhungern. Zwei Tage später, am 22. August,
erklärten die Vereinten Nationen eine Hungersnot. Zu diesem Zeitpunkt war der
Schaden bereits angerichtet: 273 Menschen waren bereits verhungert, darunter
112 Kinder. Die Erklärung war keine Warnung, sondern eine düstere Bestätigung
dessen, was humanitäre Organisationen seit Monaten sagen: Die Bewohner des
Gazastreifens ertragen seit langem einen bewussten Abstieg in den Hunger.
Dies ist kein tragischer Unfall. Es ist das Ergebnis
wohlüberlegter Entscheidungen. Eine Bevölkerung, der Obdach, Nahrung und
Sicherheit entzogen wurden, musste vor den Augen der Welt dem Untergang
überlassen werden.
Dies ist kein Krieg. Es ist die systematische Zerstörung
zivilen Lebens. Die Belagerung des Gazastreifens ist zu einer Vernichtungsmaschinerie
geworden, die durch Straflosigkeit und das Schweigen – oder die Komplizenschaft
– mächtiger Nationen aufrechterhalten wird. Die Hungersnot ist hier keine Naturkatastrophe,
sondern das Ergebnis einer gezielten Strategie: Hilfslieferungen werden
blockiert, Lebensmittelkonvois bombardiert, Infrastruktur zerstört und Grundbedürfnisse
werden verweigert.
Caritas Internationalis ist Zeuge dieses Grauens.
Zivilisten, vor allem Kinder und Frauen, werden ausgehungert, bombardiert und
ausgelöscht. Einflussreiche Regierungen, Konzerne und multinationale
Unternehmen haben diese Katastrophe durch militärische Unterstützung,
finanzielle Hilfe und diplomatische Deckung ermöglicht. Ihr Schweigen ist keine
Neutralität, sondern Billigung.
Unterdessen gibt die internationale Gemeinschaft leere
Erklärungen und leere Plattitüden ab. Diese Doppelmoral dient lediglich dazu,
Zeit für weitere Zerstörung zu gewinnen. Caritas Internationalis sieht in Gaza
einen gezielten Angriff auf die Menschenwürde und den Zusammenbruch der
moralischen Ordnung, ein Versagen von Führung, Verantwortung und Menschlichkeit.
Im Licht des Geistes, der uns leitet, verabscheut Caritas
Internationalis all diese Handlungen und Unterlassungen aufs Schärfste. Sie
stellen eine eklatante Missachtung der Werte und Grundprinzipien der
Menschlichkeit dar und verstoßen eindeutig gegen das Völkerrecht, das
humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsnormen sowie gegen
zahlreiche Bestimmungen spezifischer UN-Konventionen, darunter die Konvention
über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.
Papst Franziskus erinnert uns in „Fratelli Tutti“
daran: „Entweder werden wir alle gemeinsam gerettet oder niemand wird
gerettet.“
Und die Heilige Schrift fordert uns auf: „Öffne deinen
Mund für den Stummen, / für das Recht aller Schwachen!“ (Sprüche 31:8) „Was
ihr für einen meiner geringsten Brüder nicht getan habt, das habt ihr mir auch
nicht getan.“ (Matthäus 25:45)
Caritas Internationalis fordert:
1. Ein sofortiger und dauerhafter Waffenstillstand.
2. Uneingeschränkter humanitärer Zugang, um den Hunger zu
beenden und Hilfe zu leisten.
3. Freilassung aller Geiseln und willkürlich festgehaltenen
Personen.
4. Einsatz einer UN-Friedenstruppe zum Schutz der Zivilbevölkerung.
5. Schutz aller Zivilisten, insbesondere Kinder, Frauen und
ältere Menschen.
6. Rechenschaftspflicht aller Täter und Ermöglicher vor
nationalen und internationalen Gerichten.
7. Vollständige Umsetzung des Gutachtens des
Internationalen Gerichtshofs vom 19. Juli 2024, einschließlich:
• Beendigung der unrechtmäßigen Präsenz Israels im
besetzten palästinensischen Gebiet.
• Einstellung der Siedlungstätigkeit und Evakuierung der
Siedler.
• Bereitstellung von Wiedergutmachung.
• Die Staaten müssen die rechtswidrige Situation ablehnen.
• UN-Gremien mit der Ermächtigung, konkrete Schritte zur Beendigung
der Besatzung zu unternehmen.
Die Hungersnot in Gaza ist eine moralische Bewährungsprobe,
und zu viele haben versagt. Eine Bevölkerung verhungern zu lassen, bedeutet,
Leben zu entweihen. Schweigen heißt, Mittäterschaft zu leisten.
Caritas Internationalis ruft alle Menschen mit Glauben und
Gewissen dazu auf, ihre Stimme zu erheben, Druck auf ihre Regierungen auszuüben
und Gerechtigkeit zu fordern. Die Welt schaut zu. Die Geschichte zeichnet auf.
Und Gaza wartet nicht auf Worte, sondern auf Erlösung.
Vatikan, 25.08.2025
Hans Wührer
ZU GAZA NICHT SCHWEIGEN!
Rede bei einer Demonstration in Wien
Liebe Freundinnen und Freunde des palästinensischen Volkes,
die ihr mitleidet und verzweifelt seid über das Leiden der Geschwister in Gaza!
Vor 11 Tagen ereignete sich ein Massaker an jungen Menschen
in Graz. Die Erschütterung und Anteilnahme war groß, auch die Ehrung der
Getöteten. Unsere Frau Außenministerin hat beteuert, es zerreiße ihr als Mutter
von 3 Kindern das Herz. Nun ereignet sich in Gaza ein unvergleichlich
monströseres Gemetzel (wohl 2000 mal so groß!) – und die Welt und Österreich
schaut zu und schweigt. Die toten Kinder von Gaza zählen einfach nicht.
Gaza ist inzwischen nicht mehr nur ein einziges Gefängnis,
es ist ein einziger Friedhof. Die Überlebenden erleiden die Hunger-Folter.
Ich mag mir nicht vorstellen, wie viele Gazaner heute ihre
Toten beneiden....
Man hört, dass israelische Politiker ihr mörderisches
Treiben mit der alten biblischen Erzählung von AMALEK rechtfertigen. Amalek war
einer der Stämme, die um das Land zwischen Mittelmeer und Jordan kämpften. Nach
so einer Schlacht befahl der Gott der Israeliten den 'Bann' über die
Amalekiter, was die vollständige Vernichtung alles Lebendigen bedeutete (nicht
nur 'Verbannung'!). Weil Israel aber begreiflicherweise das Vieh schonte, wurde
es für diese Milde bestraft. Diese (mythologische) Erzählung ist für die
radikalen Politiker in Israel der Auftrag: „Amalek" darf uns nie wieder
passieren, diesmal müssen wir ernst machen mit dem Bann, d. h. der totalen
Auslöschung. Was nichts anderes heißt als Völkermord!
Als katholischer Priester weiß ich: die Juden sind unsere
älteren Geschwister im Glauben. So frag ich mich: was sagt denn unsere
jüdisch-christliche Tradition zum gegenwärtigen Krieg, was sagt die Bibel,
unser gemeinsames Fundament, dazu? Ich stelle erschüttert fest: ihre
wesentlichen ethischen Normen widersprechen mit größter Eindeutigkeit diesem
Krieg, nämlich:
„Die Erde gehört Gott“. Kein
Mensch kann sie als seinen Besitz betrachten. Im besten Fall als Sachwalter,
Hüter.
Der Mensch ist nach GOTTES BILD geschaffen. Als solcher hat
er – und zwar jede und jeder – teil an der Größe und Würde Gottes. Jedes
Menschenleben ist also heilig und unantastbar wie Gott!
„Du sollst nicht töten“ ist
zentrales Gebot
Besonders schützenswert ist das Leben der Kinder und
Frauen, ganz besonders das der Witwen und Waisen – und der Fremden!
Gegen unverhältnismäßige Gewalt gilt der Grundsatz „Aug
um Auge, Zahn um Zahn": Das heißt: du darfst dem Gegner nichts Schlimmeres
antun, als er dir. Also jedenfalls keine Blutrache – damit das Überleben Aller
gesichert ist!
Frieden nennt die Bibel eine „Frucht der Gerechtigkeit“.
Das heißt wohl auch Gleichheit an Chancen und Rechten? Apartheid und Rassismus verneinen sie aber
vehement...
Viele Israelis betrachten sich als das „Auserwählte Volk“
und vergessen ganz, dass dieser Name nie eine Privilegierung bedeutet hat,
sondern die Verantwortung, mit den Brudervölkern den SHALOM Gottes zu suchen:
mit ihnen zusammen ein Land aufzubauen, das „von Milch und Honig fließt“.
Wir appellieren heute an unsere Regierung, ich appelliere
an unsere Kirchen: „Schweigt nicht länger zur Auslöschung von Gaza! Nennt
die Dinge beim Namen, drängt auf Verhandlungen! Das Blut unserer Geschwister in
Gaza schreit zum Himmel!“
Hans Wührer, geb. 1943 in Losenstein (OÖ,) ist seit
1968 katholischer Priester der Diözese Linz. Er war u. a. VOEST-Pfarrer (1983 -
2000) und Diözesanseelsorger der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung (KAB).
Wührer ist auch Gründungs- und Vorstandsmitglied der Aktion Kritisches
Christentum (AKC). Das ist der Text seiner Rede bei einer Gaza-Solidaritätsdemonstration
am 28. Juni 25 in Wien.
BUCHTIPP:
Hermann Glettler / Abualwafa Mohammed: NICHT DEN HASS, DIE
LIEBE WÄHLEN.
Ein Bischof und ein Imam über Spuren der Hoffnung in einer
verwundeten Gesellschaft. Herder-Verlag Freiburg im Breisgau 2025. 192 Seiten,
Euro 22,--
Dass ein katholischer Bischof und ein islamischer Imam ein
gemeinsames Buch schreiben, in dem sie noch dazu überwiegend gleicher Meinung
sind, ist sicher ungewöhnlich. Mit ihrem Dialogbuch wollen Mohammed und
Glettler zeigen, dass persönlicher oder kollektiver Hass niemals „Lösung
oder gangbarer Weg in Konfliktsituationen“ sein kann. In fünf Kapiteln
regen sie zum Nachdenken über Dialog in verfeindeten Lebenswelten, Angst,
Manipulation und Freiheit, Auswege aus der Hassspirale, das Miteinander der
Religionen und das höchste Gebot der Liebe an. Handlungsimpulse geben Anstöße, „um
möglichst rasch in ein konkretes Tun zu kommen“.
„Uns trennen Welten“, heißt es im Vorwort: Bischof
Glettler wuchs auf einem Bauernhof in der Steiermark auf, Imam Abualwafa, Sohn
eines ägyptischen Sufi-Meisters, nördlich von Kairo im Nildelta. Nicht nur ihre
Kindheit, sondern auch ihre schulischen und universitären Laufbahnen waren
völlig unterschiedlich. Doch vor 15 Jahren haben sich ihre Wege in Graz
gekreuzt, und die beiden wurden Freunde. Seither diskutieren sie über den
gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer pluralen Gesellschaft. Ihr erstes
gemeinsames Buch ist zu einem „Dokument der Freundschaft“ geworden und
will „ein kleines Zeichen gegen die neue Härte in unserer Gesellschaft sein“
und zu „echter Menschlichkeit anstiften“, schreiben die beiden eingangs.
Abualwafa sieht eine problematische Spannung: „Eine
wachsende Islamfeindlichkeit und ein antiwestlicher Islamismus stehen sich
immer aggressiver gegenüber. Dazwischen vermittelnd wird man recht rasch als
Verräter beschimpft.“ (13) Dies werde durch die „sozialen Medien“ noch
angeheizt. Glettler: „Neu und erschreckend ist die Aggressivität, mit der
die Grenzen zwischen den diversen Lebenswelten gezogen werden. Die Härte
schockiert. Die anderen werden nicht nur als Idioten denunziert, sondern gleich
einmal als Verbrecher, die man eigentlich loswerden sollte.“ (14) „Wir
müssen unbedingt daran arbeiten, die gefährlichen Freund-Feind-Schemata zu
überwinden – hier ,die Unsrigen, dort die anderen‘.“, meint Glettler. Und
Abualwafa ergänzt: „In jedem Fall ist der Einsatz für eine dialogfähige
Gesellschaft eine Schicksalsfrage für unsere Zukunft“. (17)
Bezüglich der immer wieder vorgebrachten Angst vor dem „Verlust
der Identität“ sagt Bischof Glettler: „Identität entsteht durch
Kommunikation, bleibt lebendig durch Begegnungen und gute Beziehungen – nicht
durch Abschottung und Isolation“ (23) Abualwafa ergänzt: „Menschen
müssen miteinander kommunizieren können, damit Beziehungen über die
ethnisch-kulturellen Ränder hinaus wachsen können. Jede Form der Ghettoisierung
ist gefährlich, egal ob selbst oder fremd verschuldet. Und die Angst vor den
Fremden schwindet, sobald die Leute ihre Konflikte ausdiskutieren können.“
(24)
In diesem Zusammenhang diskutieren der Bischof und der Imam
auch über das Thema „Freiheit“, das Freiheitsrechte und
Freiheitspflichten beinhalte. Individualität und Solidarität dürften nicht zu
weit auseinandertriften. Beide plädieren dafür, dass es bei Konflikten zwischen
unterschiedlichen Freiheitsansprüchen wichtig sei, „sich nicht von
negativen, polarisierenden Tendenzen treiben zu lassen“ (61) Glettler fasst
seinen Freiheitsbegriff zusammen: „Wirklich frei ist, wer zu echter Empathie
fähig ist, zu einem ganz selbstverständlichen Dasein für andere – nicht fixiert
auf die eigenen Befindlichkeiten und Probleme.“ (65)
Ein weiteres Gesprächsthema ist der Hass und daraus
entstehende Gewalt, die oft auf erlittene Ungerechtigkeiten oder Kränkungen
zurückgehen. Abualwafa: „Mir kommt es so vor, dass Kränkungen und innere Wut
das Feuer legen. Der Hass ist dann der Brandbeschleuniger.“ (92) Glettler:
„Direkte Begegnungen, ehrliche Gespräche und gegenseitiges Zuhören scheinen
mir der einzige Ausweg zu sein, um die gewohnten Muster von Frust und
Vergeltung zu verlassen“. (104)
Natürlich unterhalten sich die beiden auch über die Rolle
der Religionen als Hoffnungsgeber, aber auch über deren Missbrauch zur
Legitimation von Gewalt. „Wenn unsere Kirchen und Religionsgemeinschaften
nicht dazu dienen, dass sich Menschen aufrichten können und Zukunftsmut
schöpfen, sollten wir uns abmelden“ (110), meint dazu Bischof Glettler.
Abualwafa stimmt ihm zu und ergänzt: „Statt uns von Krisen entmutigen zu
lassen, sollten wir unsere Energie für positive Veränderungen einsetzen. Die
Welt braucht gerade jetzt Menschen, die nicht aufgeben, sondern zur Heilung unserer
verwundeten Welt beitragen.“ (120)
Im Schlusskapitel zitiert Bischof Glettler den Dichter Hermann
Hesse: „Ihr mögt es mit Jesus
halten oder mit Plato, mit Schiller oder mit Spinoza, überall ist das die
letzte Weisheit, dass weder Macht noch Besitz noch Erkenntnis selig macht,
sondern allein die Liebe.“ (160) Und Abualwafa antwortet mit dem
Sufi-Gelehrten Ibn Arabi: „Meine Religion ist die Liebe, wohin sie
auch immer führt. Das ist mein Glaube, mein einzig wahrer Glaube.“ (161)
Obwohl beide Autoren Theologen sind, handelt es sich nicht
um ein theologisches Buch, sondern um den Austausch von praktischen
Lebenserfahrungen. Man erfährt nicht nur einiges über das Leben und Wirken der
beiden Autoren, sondern auch über ihre Religion, vor allem aber geht es um
vorurteilsfreies, ehrliches Aufeinanderzugehen und um Anstiften zu einer
ehrlichen Menschlichkeit. Es ist keine Streitschrift, sondern
niedergeschriebener mündlicher Dialog, in dem das Gemeinsame über das Trennende
gestellt wird.
Adalbert
Krims